Boomerang-Gründer Katharina Kreutzer und Marc Engelmann mit ihren wiederverwendbaren Versandtaschen für Online-Shops in den Geschäftsräumen in Hamburg-Hammerbrook.
Foto: Thorsten Ahlf / Funke Foto Services
Start-up Boomerang setzt auf Mehrweg-Versandtaschen aus recyceltem Kunststoff. Nun startet die Testphase mit zwei Online-Händlern.
Hamburg. Die Idee stammt buchstäblich aus dem Müllkeller: Marc Engelmann wollte eigentlich nur einige Pappkartons wegwerfen. Aber als er an diesem Tag vor den Papier-Containern in seinem Wohnhaus stand, waren mal wieder alle überfüllt. Selbst daneben stapelten sich die Verpackungen schon gefährlich hoch.
„Ich war sauer und wollte eigentlich eine wütende Mail an die Verwaltung schreiben, damit sie einen weiteren Container aufstellen lässt“, sagt der Hamburger. Aber schon auf dem Weg zurück in seine Wohnung kamen die Zweifel. „Statt immer mehr Platz für Müll zu schaffen, habe ich überlegt, was ich machen kann, um die Karton-Berge zu reduzieren.“ Kurz gefasst war das der Beginn von Boomerang.
Allein im vergangenen Jahr sind in Deutschland 4,5 Milliarden Pakete verschickt worden. Ein neuer Rekord. In der Regel landen die leeren Pappkartons, Einmal-Plastiktüten & Co. nach dem Versand direkt im Abfall. Genau das will das Hamburger Start-up Boomerang ändern und hat dem Verpackungsmüll den Kampf angesagt.
Gemeinsam mit Katharina Kreutzer und Christian Putz hat Marc Engelmann ein Pfandsystem für Mehrwegverpackungen im Online-Handel entwickelt. „Unsere Versandtaschen können 50 Mal wiederverwendet werden“, sagt der 31-Jährige. „Im Vergleich zu Einwegkartonagen werden damit bis zu 80 Prozent Emissionen eingespart.“
Seit dem Frühjahr haben die Jungunternehmer die Idee zum Geschäftsmodell ausgebaut. In diesen Tagen startet eine Testphase mit zehn Pilotkunden, darunter der Hamburger Online-Händler Kaala Yoga und die nachhaltige Modemarke Dirts aus Aschaffenburg.
Treffpunkt in einem Coworking-Büro in Hammerbrook. Hier ist die Zentrale des Start-ups mit inzwischen 13 Beschäftigen. Erst mal ganz normale Arbeitsplätze mit Schreibtischen, Computern, Kaffeemaschine und was man sonst noch so bei einer Firmengründung braucht.
Bleiben sie auf dem Laufenden rund um die Themen Immobilien, Wohnen & Stadtentwicklung
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Dazwischen liegen oder stehen die neuartigen Boomerang-Versandtaschen, liebevoll Boomi genannt. Sie ist blau mit orangen Streifen, Klettverschlüssen und aus recyceltem Kunststoff. Zusammengefaltet etwa so groß wie ein gefülltes A4-Kuvert. Marc Engelmann schnappt sich eine.
„Wir starten mit einer mittleren Größe, darin ist Platz für zwei Schuhkartons“, sagt er und hält sie hoch. An dem Design haben die Gründer lange getüftelt. „Mehrweg wird langfristig Teil unseres Alltags, dann soll es auch gut aussehen“, sagt Katharina Kreutzer, die wie Christian Putz aus Bayern stammt und erst Mitte des Jahres bei Boomerang eingestiegen war.
Und so funktionieren die wiederverwendbaren Taschen: Beim Einkauf im Online-Shop können die Kunden die Mehrwegverpackung auswählen. Dafür wird ein Pfand in Höhe von drei Euro Pfand fällig. Die Waren werden dann direkt vom Händler in den blauen-orangen Versandtaschen verpackt, versiegelt und versendet.
Beim Empfänger angekommen, lassen sich die Boomis mit wenigen Handgriffen flach zusammenfalten und in den Briefkasten werfen – ohne Briefmarke oder andere Kosten. Jede Versandtasche hat ein Retouren-Etikett und eine Nummer, über die Boomerang die Rückzahlung des Pfands abwickelt. „Natürlich kann man auch eine Retoure in der Mehrwegverpackung zurückschicken“, sagt Gründer Engelmann.
Das Konzept basiert auf einem Leasingmodell. Die Versandverpackungen bleiben im Besitz von Boomerang, die Online-Händler zahlen für jede Nutzung. Nach Angaben der Gründer sind die Kosten mit 50 Cent bis 1,50 Euro ähnlich hoch wie für heute übliche Einwegverpackungen. Für Aufbereitung, Reinigung und Reparatur ist Boomerang zuständig.
Zum Start sind 6000 Mehrwegtaschen im Umlauf, mittelfristig rechnen die Jungunternehmer aber in Millionen Stückzahlen. „Wir haben schon mit vielen großen Online-Händlern gesprochen. Es ist für viele interessant“, sagt Boomerang-Gründer Engelmann. In der jetzt anlaufenden Pilotphase soll das IT- und das Pfandsystem getestet werden.
Boomerang ist nicht der erste Versuch, Mehrwegverpackungen im Online-Handel einzuführen. Schon 2020 hatten die Hamburger Online-Händler Otto und Tchibo sowie der auf nachhaltige Produkte spezialisierte Avocadostore im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojektes praxPACK einen Testlauf mit mehreren Tausend Mehrwegverpackungen des Start-ups Repack gemacht, das ebenfalls mit der kostenlosen Rücksendung der Versandtaschen arbeitet.
Das Projekt ist beendet, der Kreislauf-Versand mit Repack ist allerdings bei keinem der drei Hamburger Händler in die Verlängerung gegangen. Avocadostore versendet jetzt mit dem SendMePack, einem Karton-Recycling-System aus Berlin.
Offenbar tun sich vor allem die großen Unternehmen schwer bei der Veränderung ihrer Strukturen. Bei Otto heißt es dazu: „Wir gehen das Thema Mehrweg weiter an.“ Es bedeute aber Umstellungen in der Logistik und bei IT-Prozessen. „Wir haben die Tüte von Repack getestet und für gut befunden, aber jetzt müssen wir unsere Hausaufgaben in unseren Prozessen machen.“
Der frühere Versandhauskonzern setzt aktuell vor allem auf recycelbare Verpackungsmaterialien und testet seit November biologisch abbaubare Versandtaschen auf Praxistauglichkeit. Bei dem Projekt mit dem Start-up Traceless werden Verpackungen aus Papier eingesetzt, das aus Grasresten gewonnen wird und einem biobasierten Plastikersatz enthält, der die Versandtaschen robuster macht.
Auch Tchibo geht inzwischen eigene Wege. „Der Testlauf war erfolgreich“, erklärt eine Tchibo-Sprecherin auf Abendblatt-Anfrage. Darum werde das Unternehmen Anfang 2023 „einen weiteren Test" mit Mehrwegversandtaschen durchführen – vor allem für Textilprodukte, bei denen Retouren erwartet werden. Allerdings arbeitet Tchibo nicht mit Repack zusammen, sondern setzt andere Mehrverpackungen ein.
Zu den Gründen sagt ein Sprecherin: „Wir wollen uns auf die Tüte konzentrieren und nicht auf das Drumherum mit App und Rewardsystem, was Teil von Repack ist.“ Die wiederwendbare Verpackung sollen an ausgewählten Kunden verschickt werden. Ein Pfand ist nicht geplant. In Österreich hatte sich der Kaffee- und Konsumgüterkonzern mit anderen großen Handelsunternehmen an einem Pilotprojekt in Kooperation mit der österreichischen Post und dem dänischen Start-up Re-Zip beteiligt.
Die Boomerang-Chefs sind überzeugt, dass ihr Mehrweg-Konzept auch für große Online-Shops funktioniert. Katharina Kreutzer, die aus Regensburg kommt und über ein Online-Gründerportal auf das Start-up aufmerksam geworden war, hat es sogar auf die Liste der vielversprechendsten deutschsprachigen jungen Gründer und Gründerinnen „30 unter 30“ des US-Wirtschaftsmagazins Forbes geschafft.
Bei sogenannten Business Angels und Investoren hat das Trio einem hohen sechsstelligen Betrag eingesammelt. Im nächsten Jahr will Boomerang eine weitere Finanzierungsrunde starten. Dann geht es um einen Betrag von fünf Millionen Euro.
Das Geld soll in die Produktion von Boomerang-Taschen in verschiedenen Größen fließen, aber auch für den Ausbau der Logistik des Verpackungskreislaufs eingesetzt werden. Unter anderem sollen die Taschen mit NFC-Chips ausgestattet werden, um die Abwicklung des Pfandsystems zu beschleunigen.
Wie wichtig das Thema Mehrweg-Verpackungen in Zukunft wird, zeigt auch der Entwurf für das neue EU-Verpackungsgesetz von Ende November. Brüssel will die Mitgliedsstaaten verpflichten, ihr Pro-Kopf-Aufkommen an Verpackungsabfällen im Vergleich zu 2018 stufenweise bis zum Jahr 2040 um 15 Prozent zu senken. Für E-Commerce-Verpackungen soll ab 2030 eine Quote von zehn Prozent, ab 2040 dann eine Quote von 50 Prozent gelten.
„Unser ganzes Geschäftsmodell ist auf Masse ausgelegt“, sagt Boomerang-Chef Marc Engelmann, der für sein Journalistikstudium nach Hamburg gekommen war. Gerade läuft eine großangelegte Werbekampagne für die Boomis. Mit persönlichem Anschreiben wollen die Gründer Chefs und Chefinnen der Online-Händler von ihren Mehrweg-Versandtaschen überzeugen – immer mit einem Produkt aus dem eigenen Shop in der Tüte. „Das kommt gut an“, sagt Engelmann. „Wir haben einige positive Rückmeldungen.“
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Wirtschaft